Interview

Interview mit Meister Nobuyoshi Tamura anlässlich eines Gespräches mit G. Haider (APA-Redakteur) am 29. April 2001

 

Meister Nobuyoshi Tamura

Meister Nobuyoshi Tamura

APA: Was unterscheidet Aikido von anderen Kampfsportarten wie Karate oder Judo?

NT: Ich habe nie Karate oder Judo gemacht, somit kenne ich den Unterschied nicht. (Er nimmt zur Illustration eine Zuckerdose und ein Milchkännchen: Wenn man diese beiden Objekte betrachtet, kann man eindeutig einen Unterschied definieren.)  Bei Aikido gibt es keinen Wettkampf (…).

APA: Für einen Aussenstehenden wirkt Aikido mehr wie ein Tanz, als wie ein Kampfsport. Sind die Techniken des Aikido überhaupt für einen Kampf gedacht?

NT:  Sicherlich (…), Bewegungen die in perfekter Harmonie durchgeführt werden, erscheinen oft leicht, luftig.

Wenn man die Gesetze der Natur befolgt, entstehen Formen in perfekter Harmonie. (zB. Überschallflugzeuge oder Rennwagen) Wenn der Mensch seine Bewegungen denselben Gesetzen unterwirft, erreicht er eine perfekte Bewegungsform.

APA: Was erwarten Menschen, die Aikido lernen wollen? Und was kann Ihnen Aikido tatsächlich geben?

NT: Die Erwartungshaltung kommt vor allem von dem Menschen selbst, der Aikido ausübt (…) hängt davon ab,  was sich diese Person wünscht (…).  Wenn er sich nichts erwartet,  auch wenn wir ihm im Aikido etwas geben, wird es zu keinem Ergebnis kommen.

APA:  Im Aikido wird immer wieder auf die Lebenskraft Ki hingewiesen. Gibt es diese tatsächlich oder ist es ein Klischee, das wie „Westler“ von den asiatischen Kampfkünsten haben?

NT: Hier müsste man zuerst feststellen, was Sie unter Ki verstehen, um darüber diskutieren zu können.  Ich kann Ihnen aber sagen, was ich über das Ki denke, dies entspricht meinen derzeitigen Gedanken:

Ki ist die Kraft der Natur, die Kraft die kreiert, die der Welt das Leben verleiht. Man findet Ki in allen Gegenständen, Blumen, Tieren und Menschen. Es ist das System des Universums. Alles besteht aus denselben kleinen Teilchen (Elementen). Erst durch verschiedene Zusammensetzung bekommt man unterschiedliche Formen. Aber die Basis sind immer dieselben Grundelemente. Man hat lauter gleiche Teile (wie beim Kinderspiel Lego), erst durch das Zusammenfügen der Teile in einer gewissen Ordnung entstehen verschiedene Formen. Manche Formen haben wenig Ki, manche Formen, wie die Menschen, haben viel Ki (…)

Menschen bekommen zu Beginn von den Eltern Ki (…) das ist jedoch nicht genug (…) man nimmt z.B. durch Essen, Sonne, Natur (…) etc. (…) zusätzliches Ki auf…  Wenn man Ki flüssig aufnehmen kann, und dieser Fluss auch im Inneren des Körpers erhalten bleibt, entwickelt man sich weiter (…) wird dieser Fluss unterbrochen, treten Krankheiten auf (…) bricht der Fluss gänzlich ab, so bedeutet dies den Tod.

APA: Aikido scheint insbesondere Frauen anzusprechen. Können Sie bestätigen, dass der Anteil weiblicher Aikidokas im Vergleich zu anderen Kampfkünsten sehr hoch ist. Und wieso glauben Sie, fühlen sich Frauen so zum Aikido hingezogen?

NT: Warum Aikido besonders Frauen anspricht? Hier sollte man am Besten die Frauen selbst fragen. Ob Aikido besonders Frauen anspricht, weiß ich es nicht. Persönlich glaube ich eher, ob Judo oder Karate oder Kendo oder sonst irgendeine Kampfkunst, dass diese ein Element haben, zu dem sich einige bestimmte Leute hingezogen fühlen. Nicht, weil jemand eine Frau ist, mag sie Aikido, sondern genau so wär’s bei Männern auch. Mir scheint, dass der Anteil weiblicher Aikidokas nicht so unterschiedlich im Vergleich zu den anderen ist.

Tamura Sensei

Meister Tamura hat das Interview in Japanischer Sprache gegeben. Die Übersetzung erfolgte von Frau Mag. Monika Narita.

APA: Die Wurzeln des Aikidos liegen – soweit ich weiß  – in den kriegerischen (und auch sehr gewalttätigen) Disziplinen des Budo. Was bewegte Ueschiba-Sensei dazu, diesen Weg zu verlassen und eine gewaltfreie Kampfkunst zu entwickeln?

NT: In der Welt gibt es nichts, was unbrauchbar ist. Man kämpft um sich selbst zu schützen. Das heißt aber nicht, dass man selbst sicher ist, nur weil man andere getötet hat. Denn meist stellt sich danach ein neuer Feind ein.  In der alten Japanischen Zeit, wenn z. B. einer der Eltern/Familienmitgliedern getötet wurde,  tötete die hintergebliebene Familie einen der Eltern/Familienmitglieder des Mörders(Kataki)… dies galt als ehrenhaft  und wurde damals öffentlich erlaubt.

Wichtig ist aber nicht andere zu töten (somit schafft man negative Wirkung/oder unendlichen Hass), sondern zu versuchen, diesen Feind zu uns gehören zu lassen. Dafür muss man selbst sehr stark sein, innerlich wie auch äußerlich…… in diesem Sinne gibt es im Aikido einen (Wett)kampf mit sich selbst.

Wenn man sich mit diesen Gedanken und Ideen auseinandersetzt, weiß man, warum Ueshiba O Sensei Aikido erfunden hat.

APA: Sie haben sehr lange mit Ueshiba-Sensei trainiert. Nun ranken sich um diesen Mann zahlreiche Mythen. War er tatsächlich eine so außergewöhnliche, um nicht zu sagen „göttliche“ Erscheinung.

NT: Außergewöhnlich, außerordentlich (…) OK,  mystisch nein (…)

Stellen Sie sich einen Zauberer vor, wenn man seine Tricks nicht kennt, sieht es aus wie Zauberei. Wenn man den Trick kennt, gibt es immer eine logische Erklärung.

Sind wir noch nicht auf dem Niveau von Ueshiba O Sensei… so sehen wir auch  nicht, wie er es macht (…)

Wenn man aber lange Zeit trainiert, dann erkennt man, das die Sachen, die Ueshiba O Sensei macht, gewöhnliche Sachen sind (…) Wenn Ueshiba O Sensei eine göttliche oder mystische Person gewesen wäre, hätte ich von Anfang an nicht mit ihm gearbeitet (od. bei ihm gelernt?). Weil er eben ein normaler Mensch war, und nach jahrelangem Training das erreicht hat, weiß man, dass man das auch erreichen kann (…) dann trainiert man weiter, bis man das erreicht.